Mittwoch, 27 November: "Stirbt der Friedhof? – Warum wir anders mit den Toten umgehen“ im Jakobi-Treff Kirche und Welt"
"Stirbt der Friedhof? – Warum wir anders mit den Toten umgehen“ war das Thema in der letzten Woche des Kirchenjahres nach dem Ewigkeitssonntag des Jakobi-Treffs "Kirche und Welt". Referent war Karl Wilms, Vorsitzender des Friedhofsausschusses unserer Gemeinde.
In einem Rückblick auf die Historie führte Wilms aus, dass im Altertum bei den Griechen und Römern das Bestatten noch in der Verantwortung der Familien gelegen habe. Im Mittelalter sei das Friedhofswesen fest in kirchlicher Hand gewesen. Totenfürsorge sei als eines der sieben Werke christlicher Barmherzigkeit gesehen worden. Karl der Große erließ im Jahr 782 bei Androhung der Todesstrafe ein Verbot der Verbrennung von Leichennamen. Bestattet wurde auf Friedhöfen rund um die Kirchen und als dort der Platz knapp wurde, wurden die Gebeine in Gebeinhäuser ausgelagert.
Im 19. Jahrhunderts wuchsen mit dem rapiden Bevölkerungswachstum die hygienischen Probleme auf den Friedhöfen der Städte. Kirchliche Innenstadt-Friedhöfe wurden geschlossen und durch kommunale Friedhöfe außerhalb der Stadtgrenzen ersetzt. Auch in Rheine wurde der unter der französischen Verwaltung 1702 an der Salzbergener Straße eingerichtete Friedhof durch Friedhöfe in den damaligen Außenbezirken ergänzt, diese blieben aber in kirchlicher Trägerschaft. Zudem wurde auch der jüdische Friedhof am Mühlentörchen 1838 geschlossen und ein Friedhof an der Lingener Straße (1839 bis 1934) und später am Rodder Damm (1924 bis 1941) eingerichtet.
Im späten 19. Jahrhundert entwickelte sich sehr langsam eine Bewegung zur Feuerbestattung. Das erste Krematorium wurde 1878 in Gotha eingerichtet, danach in Hamburg und Heidelberg. Während sich die Evangelische Kirche neutral verhielt, wurden Feuerbestattungen durch die katholische Kirche 1885 verboten. Erst 1934 durch das Feuerbestattungsgesetz der Nationalsozialisten wurden Erd- und Feuerbestattung gleichgestellt und Regelungen wie die noch heute gültige zweite ärztliche Leichenbeschau vor der Einäscherung eingeführt.
Während 1960 der Anteil der Feuerbestattungen in Westdeutschland noch bei 10% gelegen hat (in der DDR bei ca. 85%), lag er der Anteil 1992 bei 27 % und heute bei ca. 68%. Für die Friedhöfe bedeutet dies einen erheblichen Rückgang des Flächenverbrauchs, zudem werde mehr als die Hälfte der Nutzungsrechte an Grabstätten, die im Verlauf eines Jahres enden, nicht mehr verlängert, so Wilms.
Zurückzuführen sei dies auf eine Änderung der Familienstrukturen, den gesunkenen Anteil der Mehr-Generationen-Haushalte. Insgesamt ist die Gesellschaft ist mobiler geworden. Die klassische Familiengrabstätte verliere ihre Bedeutung, die Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen oder einem anderen Verantwortung aufzuerlegen, sei gesunken.
Während man bei Erdbestattungen lediglich zwischen Wahlgrab, Reihengran und Gemeinschaftsgrab auf einen Friedhof wählen könne, stehen nach einer Krementierung neben den unterschiedlichen Beisetzung auf einen Friedhof weitere Möglichkeiten wie Seebestattung, Waldbestattungen, Kolumbarien oder Aschestreuwiesen offen.
Wilms: „ Seelsorgerlich und psychologisch nachgewiesen ist allerdings, dass mit der „Ortlosigkeit der Trauer“ später erhebliche Probleme auftauchen können. Ein konkreter Erinnerungsort, ein identifizierbarer Grabstein, ja schon ein umgrenzter Bereich auf einem Friedhof haben für nicht wenige Menschen zentrierende und darum heilende Bedeutung.“
Gesetzlich geregelt ist das Bestattungswesen in bundeslandspezifischen Bestattungsgesetzten, wobei insbesondere der Schutz und die Bewahrung der Totenwürde sichergestellt werden soll. Dieser Schutz leitet sich wiederum aus der Unantastbarkeit der Würde des Menschen aus § 1 des Grundgesetzes ab, der über den Tod hinaus gilt. Dabei zeichne sich eine fortschreitende Liberalisierung ab, die langfristig wohl auch im Zuge europäischer Harmonisierung eine Auflösung des Friedhofzwanges ergeben werde.
Eine weitere Entwicklung sei, dass die Kirche ihr Monopol im Bereich der Bestattungsrituale und Trauerbegleitung verloren habe. Bestatter als qualifizierte Dienstleister mit erheblichem Konkurrenzdruck entwickelten eigene Qualitätsmerkmale und zeigten hohe Innovationsbereitschaft im Umgang mit individuellen Wünschen.
„Die Friedhöfe in ihrer jetzigen Form sind ein Auslaufmodell, wenn sie den gesellschaftlichen Wandel verschlafen. Die Menschen wollen sich einbringen, wollen gestalten – und werden stattdessen Teil eines Verwaltungsprozesses, der genau das unmöglich macht. Noch beugen sich viele den geschriebenen und ungeschriebenen Gesetzen. Aber die Auswirkungen des Wandels sind jetzt schon erkennbar und werden in den kommenden Jahrzehnten in ihrer ganzen Wucht spürbar.“
Die Friedhöfe würden nicht sterben, so Wilms, aber sie bräuchten eine Therapie: Statt mehr Regulierungen sei es zukunftssicherer, die Menschen einfach zu fragen: Was braucht ihr? Was wünscht ihr euch? Was muss geschehen, damit das, was die Fachleute Aufenthaltsqualität nennen, verbessert wird? Noch scheiterten Reformen immer wieder an starken Widerständen, doch die Erfahrungen in unseren Nachbarländern zeigten, dass ein Zurückfahren der Regulierung die Akzeptanz der Friedhöfe erhöht.
Die anschließende Diskussion machte unterschiedliche Standpunkte deutlich, am Ende dankten die zahlreichen Zuhörer mit herzlichem Applaus und nahmen die Gelegenheit war, ihre Erfahrungen und Erwartungen auszutauschen.