Pilgern auf dem Jakobs-Weg im Jakobi-Treff „Kirche und Welt“
Christian Kurrat referierte im Jakobi-Treff „Kirche und Welt“ über die Renaissance des Pilgertums und die biografische Bedeutung des Pilgerns
Nicht zuletzt durch Hape Kerkelings „Ich bin dann mal weg“ ist Pilgern Mode geworden. Allein im Jahr 2019 wurden rund 350.000 Pilgerinnen und Pilger in Santiago de Compostela registriert, wo das Grab des Apostels Jakobus vermutet wird; darunter rd. 25.000 aus Deutschland. Christian Kurrat hat in seinem Vortrag im Jakobi-Treff „Kirche und Welt“ erläutert, warum Menschen heutzutage pilgern.
Als Soziologe an der FernUniversität Hagen hat er eine wissenschaftlich fundierte Typenbildung des Pilgerns auf dem Jakobsweg vorgenommen; auf Basis von narrativen Interviews konnte Kurrat fünf deutlich unterschiedliche Pilger-Typen herausfinden, die sich hinsichtlich Kommunikationsformen, Bedeutung der Körperlichkeit und dem Bezug zum heimischen Umfeld unterscheiden.
An erster Stelle stünden die „Bilanzierer“, bei denen das Ende des Lebens in Sicht ist, und Kontemplation, aber auch Buße und Vermächtnis im Vordergrund stünden. Eine zweite Gruppe bildeten die „Krisen-Pilger“, gekennzeichnet durch die Erschütterung durch ein ungeplantes Ereignisses der nahen Vergangenheit wie z.B. dem Tod einen nahen Angehörigem. Sie suchten vor allem Trost und Befreiung.
Eine dritte Gruppe, so Kurrat, bildeten die „Auszeit-Pilger“, die unter extremen alltäglichen Anforderungen stünden und beim Pilgern Gemeinschaft und Entschleunigung suchten und sich einen neue Priorisierung ihres Leben erwarteten.
Eine vierte Gruppe bildeten die „Übergang-Pilger“. Diese Pilger stünden am Ende einer Phase einer Normalbiografie wie z. B dem Abschluss oder auch dem Beginn einer Ausbildung, meist junge Menschen, die Inspiration suchten oder auch ihre getroffenen Lebenswegentscheidungen einer Prüfung unterziehen wollten.
Eine fünfte Gruppe bildeten die „Neustart-Pilger“, die im Rahmen des Pilgerns einen selbstgewählten Bruch im Lebenslauf vorbereiteten und sich in Gesprächen und im Austausch mit anderen Pilgern vergewissern wollen und ihrem heimischen Umfeld mit dem Pilgern ein deutliches Signal des Umbruchs setzten wollen.
Die Darstellung der einzelnen Typen wurde mit Interviewzitaten untermauert, die die hohen Emotionalität der Pilger zeigten (siehe Kasten).
Bei der anschließenden lebhaften Diskussion konnten die Zuhörer ihre eigene Erfahrungen einbringen und auch die deutliche Abgrenzung zwischen Pilgern und Wandern wurde vertieft. „Pilgern ist die Suche nach Gott! Und wer nach Gott sucht, wird unweigerlich über das eigene Ich stolpern!“ Pilgertage sind keine Wandertage, sondern Tage der inneren Einkehr. Das Gehen gibt den Rhythmus vor, der hilft zur Ruhe zu kommen. Tage des Pilgerns bieten Gelegenheit, innezuhalten und neue Erfahrungen mit sich, mit anderen und mit Gott zu machen.
Am Ende dankten die aufmerksamen Zuhörer dem Referenten mit herzlichen Beifall und nahmen die Gelegenheit war, sich in kleineren Gruppen auszutauschen.
1. Bilanzierer: „Ich muss sagen, dass ich das Ganze als ein Dankeschön ansehe, Dankeschön nach oben (fängt an zu weinen). Ich hatte eine sehr harte Berufszeit. Ich bin achtzig Jahre, habe früh schon ein sehr hartes Berufsleben gehabt. Schönes Berufsleben, aber auch sehr mit großen Forderungen. Und großen Forderungen an mich und auch an die Familie. “
2. Krise: „Und dann ist mein Papa gestorben, und das hat mich sehr mitgenommen, weil ich sehr an meinem Vater hing. Und dann war das irgendwie für mich klar, um mit diesem Schmerz besser umgehen zu können, ich muss irgendwie aktiv werden, ich muss was machen.“
3. Auszeit: „Natürlich ist Erfolg schön, aber es füllt mich irgendwann nicht mehr aus. Wenn das nicht mehr den Sinn ergibt, den man eigentlich sucht im Leben, wenn man sagt, man ist ja nur noch da um zu arbeiten, dann muss man irgendwann mal umdenken, wo man sagt, was will man denn eigentlich.“
4. Übergang: „Also, ich war mir noch nicht so ganz klar, was ich nach der Schule machen soll, ich hatte überlegt, zur Bundeswehr zu gehen und da zu studieren und mich auf längere Zeit, also 13 bis 16 Jahre, zu verpflichten und als Soldat auf Zeit zu arbeiten. Und hatte aber noch zwei, drei andere Optionen, wie zum Beispiel Lehrer oder Förster, hatte ich auch lange Zeit im Hinterkopf noch.“
5. Neustart: „War absolut unglücklich in dem Beruf. Bin jeden Tag wider Willen auf die Arbeit gefahren(…). Aber dann habe ich halt von heute auf morgen gesagt, ich kündige meinen Job, weil ich einfach eine Zeit gebraucht habe für mich, nachzudenken, was will ich, wer bin ich, wo soll es weiter gehen.“
Der Endpunkt des Jakobsweges, die Kathedrale von Santiago de Compostela, aber nicht das Ziel …